Erforschung des Hisilayik kuyu, Ayranci, Karaman, Ortatoros, Türkei
Erforschung des Hisilayik kuyu, Ayranci, Karaman, Ortatoros, Türkei

Hisilayik kuyu

 Ayranci, Karaman, Konya, Türkei

Im Rahmen eines Reisejahres verbrachte ich im Sommer 1990 mehrere Monate in der Türkei. Es ergab sich eine Forschungstour in den Ortatoros im Bereich Ayranci (zwischen Karaman und Eregli).
Ausgangspunkr war die Erforschung des Gürlevik in Taskale – https://speleo.franzjoerg.de/hoehlen-bei-taskale/.
Da ich dort innerhalb von kurzer Zeit hinter einem davor unüberwindbaren Quellaustritt 2,5 km Wasserhöhle entdecken, erforschen und vermessen konnte, brachte dies einige Bürgermeister der Umgebung dazu, mich aufzusuchen und mir ihre Not infolge Wassermangels zu klagen. Sie erhofften sich von mir Lösungen.

Dabei war auch Arif Kayali, der Bürgermeister von Ayranci, des nächsten Landstädtchens. Er war nicht ehemaliger Militär, wie der Bürgermeister von Taskale, sondern ehemaliger Lehrer, “Arif Hoca”. Da damals sowohl Militärangehörige als auch Lehrer schon mit Mitte 40 pensioniert wurden, waren sie die ideale Ressource für die Bekleidung des Postens eines Bürgermeisters (belediye baskane = Oberhaupt der Gemeindeverwaltung). Meist waren die ehemaligen Militärs politisch rechts und die ehemaligen Lehrer eher politisch liberal bis links angesiedelt.

Arif meinte, ich müsste für seine Stadt Wasser finden – seine Stadt würde sonst sterben. Mit dabei hatte er Yakup Demirer, der in Istanbul studiert hatte und im Rahmen seines Studiums deutsch gelernt hatte, aber nie in Deutschland war. Yakup wurde zu einem engen Freund.

Ich stelle hier zunächst die Termine der Touren um die Erforschung des Hisilayik kuyu ein:

13.07.90          HISILAYIK 1         Abstieg und Prospektion 
14.07.90          HISILAYIK 2         tauchen des upstream-S1
17.07.90          HISILAYIK 3         80m im upstream-S2
18.07.90          zugeschwemmter Ponor rechts der Straße nach Kavaközü
19.07.90          HISILAYIK 4         bis -18m im downstream-S1
20.07.90          DÜDEN bei Atatürkün Ciftligi 
24.07.90          HISILAYIK 5  –  finale Aktion                                
25.07.90          KIRAMAN – Prospektion                           
26.07.30          MULLAH-OSMAN-KOYAKLARI-KUYU                         
27.07.30          KIRAMAN-KALE-DERESI-MAGARASI, Vermessung 
03.08.90          Vali Karaman, Kopien, Yollarbasi, Höhle 1                                 
04.08.90          Yollarbasi, Höhle 2+3
05.08.90          Yollarbasi, Höhle 1, abends Videokopie                    
07.08.90          morgens ruft Arif an: TRT kommt! HISILAYIK TRT-Aktion
                         mit vielen Personen, abends Videokopie für TRT  

13.07.1990 (Freitag) – Baskane Ayranci mit Muhtar von Pinarkaya,
                                        Wasserbauingenieur und deutschsprachiger Neffe
                                         Yakup zu Besuch
                                         Tour zum HK 1 – Schacht mit Wasser!
                                         Danach mit LKW zu den Kaynaks
14.07.1990 (Samstag) – HK 2, große Tour, vermessen, Video,
                                          Tauchen upstream Siphon 1
                                          Endet mit Problemen, da sich die türkischen Helfer
                                          oben am Schacht wie die Idioten benehmen.
17.07.1990 (Dienstag) – Große Tour HK 3, 16 Leute, LKW von Ayranci, der
                                           Sohn des Baskane steigt mit ab,
                                           80m im 2. upstream Siphon
19.07.1990 (Donnerstag) – HK 4, zu 5t im LKW-Führerhaus
                                           Yakub steigt mit ab
                                           bis -18m im downstream Siphon tauchen
24.07.1990 (Dienstag) – finale Aktion im HK 5
07.08.1990 (Dienstag) – HK – TRT-Aktion

Hisim = Zorn, Wut,  hisirdamak = rascheln, rauschen,  Hisilayik kuyu = (etwa) „Donner-Schacht“

 Su varmi? Cok su!

https://de.wikipedia.org/wiki/Ayranc%C4%B1

Ayranci liegt in einer Seehöhe von 1141m in der Hochebene zwischen Karaman und Eregli. Die jährliche Niederschlagsmenge beträgt im Schnitt 240l/mxm. Im Winter liegt meist Schnee, im Sommer gibt es fast keine Niederschläge. Arif Kayali, der Bürgermeister meint, es gäbe etwa 3 Regentage im Jahr. Die Ebene wird hauptsächlich zum Getreideanbau genutzt, wie das auch mit jedem verwendbaren Fleckchen Erde in den Bergen gemacht wird. Getreide gedeiht auch mit wenig Wasser. Eigentlich ist die ganze Ebene eine typische Steppenlandschaft. Ab Juli/August überwiegen die Farben ocker und grau. Grün sieht man im Sommer nur am Bachlauf entlang und dort, wo künstlich gewässert wird. Dies ist ausschließlich im Bereich der Ansiedlungen. Will man den Ortatoros grün und blühend erleben, ist die Zeit um das christliche Pfingsten Ende Mai/Anfang Juni die beste Gelegenheit.
*
Eine ganze Reihe von Bächen aus den Bergen vereinigen sich aus Osten und Süden kommend bei Ayranci. Sie lieferten ursprünglich das Wasser für die Stadt, was 1954 – 1958 dazu führte, dass eine deutsche Gesellschaft den Stausee baute. Je intensiver das Wasser aber schon in den Ursprungstälern genutzt wurde, desto weniger kam im Stausee an. Im Frühjahr, wenn der Schnee auf dem Ortatoros schmilzt, gibt es genügend Wasser, viel mehr, als man direkt nutzen könnte. Man sah deshalb im Stauseeprojekt die ideale Lösung. Bald jedoch stellte sich heraus, dass das im Frühjahr gespeicherte Wasser bei weitem nicht für den Rest des Jahres ausreicht. Das Hauptanliegen der Bauern ist: Mehr Wasser für die Felder und Obstgärten. Der Bürgermeister ist damit pausenlos konfrontiert. Alle anderen Probleme sind im Vergleich dazu weit untergeordnet: Z.B., dass es – außer auf den Fernstrecken und Durchgangsstraßen – keine Asphaltdecke oder sonstige Straßenbefestigung gibt. Zum fehlenden Wasser kommt deshalb der allgegenwärtige Staub. Sich daran gewöhnen zu können, erfordert anscheinend angeborene Qualitäten.
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Ich gehe zum Haus von Arif. Neben mir hält ein Auto. Der türkische Fahrer spricht mich in breitem badischen Dialekt an: Er hätte von der Höhle und dem Wasser erfahren. Das sei ja endlich eine Chance für Ayranci. Immer mehr Einwohner würden wegziehen, es lohne sich nicht, in Ayranci für irgend etwas zu arbeiten. Seine ganze Familie mit allen seinen Geschwistern seien weggezogen. Wenn endlich genug Wasser da wäre, würde es sich wieder lohnen, in Ayranci zu bleiben und auf ein Ziel hinzuarbeiten.
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Wir sitzen beim Picknick in Mehmets Apfelgarten, einem Teil der großen Obstgärten in der Ebene von Ayranci. Mehmet lobt die Apfelsorten. Im Sommer würde es hier aber so gut wie nie regnen. Wenn man 4 Mal pro Wachstumsperiode wässert, würden die Äpfel gut werden. Dann ergänzt er: Dieses Jahr hätten die Wasservorräte im Stausee aber nur für 2 Mal Wässern gereicht. Da könnte der beste Baum keinen guten Apfel mehr bringen.
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In der Geisterstunde. Mit Arif, dem Bürgermeister des 3000-Einwohner-Städtchens Ayranci, gehe ich die dunkle löchrige Asphaltstraße entlang. Wir kommen von Mustafa, dem verhältnismäßig vermögenden Bauern, der uns nach 22 Uhr zu sich eingeladen hatte. Dort saßen wir in seiner Apfelplantage auf der Veranda seines Holzhauses. Wir tranken Raki und aßen etwas dazu. Gesprächsthema war, wie fast immer und überall, das fehlende Wasser. Mustafas Garten liegt außen im Randbereich der Stadt und beim Zurückgehen kommen wir am Friedhof vorbei. Arif meint, ich solle einmal zum Friedhof gehen und hören. „Su, su, su“ (Wasser, Wasser, Wasser) würden die Toten rufen. Und das sei schon 100 Jahre lang so.

Freitag, den 13.07.1990

Als wir gemütlich bei einem türkischen Freund beim Tee sitzen und nebenbei alte Münzen filmen, hält vor dem Haus ein Auto und 5 Herren erweitern unsere Runde. Nach und nach stellt sich heraus: Einer davon ist der Bürgermeister von Ayranci, außerdem sein Neffe (Lehrer aus Eregli, der beim Goethe-Institut deutsch gelernt hat), der Muhtar von Pinarkaya, der den Bürgermeister von meiner Anwesenheit verständigt hatte, ein weiterer Muhtar und ein Bergwerksingenieur, der später mein wichtigster türkischer Freund werden sollte. Sie kamen ohne Voranmeldung die 34 km von Ayranci hierher, um mich zu treffen, auf die Gefahr hin, dass ich schon abgefahren sein könnte.

Nach einiger Diskussion dessen, was ich unter den Kaynaks entdeckte und wie ich mir eine eventuelle wasserwirtschaftliche Nutzung dort vorstellen könnte, rückten sie nach und nach mit ihrem Problem raus:

  1. Wie tief könnte der Wasserspiegel bei welcher Entnahme sinken?
  2. Gibt es eine Verbindung zur Quelle?

Dann müsste beim Pumpen die Schüttung der Quelle deutlich nachlassen. Man könne dann auch nur so viel wegpumpen, dass im Fluß noch genug für die Pflanzungen im Tal übrig bliebe.
Für derartige Überlegungen finde ich aber kein Gehör. Die Herren wollen möglichst schnell möglichst viel Wasser – egal, auf wessen Kosten.

Schließlich rückt einer mit der MEGA-NACHRICHT raus:

Weiter oben im Trockenbett des Hisilayik dere sei ein Schacht – mindestens 20m tief. Auf dessen Grund sei Wasser, das man von oben auch hören könne. Ich werde schlagartig hellwach – das ist es!

Bewohner des Dorfes – ich nehme an, Pinarkaya, auf dessen Gemarkung der Schacht liegt – seien schon mit Strick unten gewesen. Es gäbe dort einen „Platz“ (Standplatz) und natürlich Wasser! Ich mache klar, dass mich die Sache interessiert und dass ich dafür auch gerne noch Zeit investieren würde. Erst nach 12 Uhr ist dann klar: Wir machen Nägel mit Köpfen und fahren mit Schachtausrüstung dorthin. Der Bürgermeister fährt mit seinem schwarzen Dienst-Pkw, der Muhtar von Pinarkaya nimmt das angepasstere Gefährt – einen alten großen Pritschen-Lkw. Als ortskundiger Wegweiser fährt er voraus, wir hinterher. Der Track ist teilweise so kriminell, dass wir schließlich aussteigen, damit der Wagen aus der Federung kommt und nicht ständig über die Steine schrappt. Am Ziel ist dann auch der Reifen rechts vorne platt. Unser Halteplatz liegt über dem Schacht. Wir müssen den Talhang absteigen, um in die Ausbuchtung am Talrand zu kommen, in der die Schachtöffnung liegt. Es ist grandios: In einer Tasche am Talrand liegt die Schachtöffnung, kaum über einen mxm groß, von großen Blöcken gerahmt. Darunter geht es flaschenhalsförmig auseinander und von unten dröhnt ein mächtiges Brausen. Fein! Thats it!

Ich setze im optimalen Abseilpunkt einen Spit, der sich verlässlich anhört. Der Fels hat nicht denselben bröseligen Charakter wie im Gürlevik. Das 100m Polyester-Seil hängen wir zunächst am Baum, 5m neben dem Loch an und dann am Spit. Da uns gesagt wurde, der Schacht sei etwa 20m tief, hängen wir als Sicherungsseil ein 20m-Seil separat an einem der Blöcke um den Schacht an. Bärbel fährt zuerst ab. Bald stellen wir fest, dass an Verständigung durch Rufen nicht zu denken ist. Das Tosen des Wassers ist übermächtig. Ich fahre danach ab und stelle fest, dass das Sicherungsseil etwa in Schachtmitte aufhört. Deshalb nehmen wir später die 2. Hälfte des 100m-Seiles als Sicherungsseil. Unten landen wir in einem Höhlenfluss in der Mitte eines Raumes von etwa 20m Länge, 6m Breite und 32m Höhe. Knietiefes Wasser, viele Steine, leichtes Gefälle und deshalb das Brausen. Nach oben setzt direkt ein Siphon an, der groß dimensioniert zu sein scheint. Nach unten ist tiefes Wasser, in dem ich mit Bury und Schlaz ein Stück schwimme. Der Gang knickt nach links ab und führt als Wassergang weiter.

Wieder oben gibt es natürlich zunächst ein Essen: Fleisch vom Grill, frisches Gemüse, Raki – eben alles, was zu einem türkischen Picknick gehört. Wir vereinbaren: Das Seil bleibt hängen und wir kommen morgen wieder. Der Muhtar fährt uns mit dem Lkw. Wir beabsichtigen morgen eine größere Aktion mit Vermessung, Fotos, Video unten im Schacht und mit Tauchaktion.

Am selben Abend fahren wir noch von Pinarkaya aus mit dem Lkw ins Subasi-Tal und begutachten die Kaynaks. Der Muhtar wählt hierfür einen Weg über die Hochfläche und landet direkt gegenüber von Masitli oben am Hang.

Abends sind wir beim Muhtar beim Essen: gekochter Schafskopf mit Yoghurt, jungen Zwiebeln und dünnen Fladen. Videos.

Pinarkaya = Quellfels, hane 170, Nüfus 717

Samstag, den 14.07.1990

Nach dem Richten des Materials ist es etwa 10 Uhr und der Muhtar lässt uns nicht ohne reichhaltiges Frühstück weg. Am Abend zuvor schon gab es bei ihm das Essen, und so hatte das Huhn, das wir von Freunden am 13.07. morgens bekommen hatten, keine Chance, gegessen zu werden. Bärbel hatte es inzwischen gekocht, während ich mit dem Lkw bei den Kaynaks war. Wir erklären deshalb dem Muhtar:

  • Die Tour heute wird arbeitsintensiv, materialintensiv und wird bis zum Abend dauern
  • Da der Bürgermeister von Ayranci morgen, Sonntag, um 9 Uhr kommen möchte, um mit uns zu einem „Düden“ zu fahren, wollen wir am Abend gleich nach By. Koras fahren und dort unser fertiges Huhn im Auto essen. Solche Regelungen sind für einen Türken immer schwer verständlich.

Noch vor 11 Uhr kommen wir los.

Am Schacht machen wir gründliche Arbeit: Wir hängen das Seil um, so dass die natürliche Befestigung nicht mehr am Baum, sondern an einem der Blöcke erfolgt und hängen das 100m-Seil so ein, dass es je hälftig als Steig- und als Sicherungsseil dient (diesmal so, dass das Steigseil auch in Abstiegsrichtung rechts und das Sicherungsseil links liegt!). Dann machen wir eine Außenvermessung, in der wir vom Spit aus den Schacht und dann das Tal in beide Richtungen jeweils etwa 100m weit einmessen.

Danach legen wir Neopren an und fahren ab. Wir haben auch Funk dabei und die Verständigung funktioniert zunächst recht gut. Oben am Schacht ist außer den 4 erwachsenen Türken auch ein türkischer Junge, unsere 5 Jahre alte Tochter und unser Hund Janis.

Unten vermessen wir zunächst den Schachtraum. Wir können damit um 14.35 Uhr beginnen und brauchen etwa eine Stunde. Gegen Ende dieser Aktion beginnt oben am Schacht ein Spektakel. Rufen, schrilles Pfeifen und es wird am Seil gewackelt. Die dort oben wollen also mit uns Kontakt. Bei den Sprachproblemen eh schwierig und bei den akustischen Verhältnissen im Schacht unmöglich. Ich nehme zunächst an, sie wollen Wasser hochziehen, wie wir das fürs Picknick schon am Vortag gemacht hatten und gebe Zeichen, dass sie das Seil hochziehen könnten. Das machen sie auch ein Stück weit, dann kommt das Seil aber wieder runter und das akustische Spektakel geht weiter. Wir ignorieren und vermessen downstream bis zu einem Siphon, der sichtbar großräumig senkrecht nach unten zieht mit großem Baumstamm drin.

Zurück im Schacht hören wir nicht nur das alte Spektakel, die dort oben haben jetzt auch einen Spiegel aufgetrieben, mit dem sie wie mit einem Laser in den Schacht leuchten. Das sieht zwar toll aus, macht uns aber in Verbindung mit der Unsicherheit, was da oben passiert sein könnte, zunehmend nervös. Die da oben wollen mit allen Mitteln Kontakt mit uns. Das kann eigentlich nur einen Grund haben: mit einem Kind oder dem Hund ist etwas passiert. Als dies klar scheint, ist natürlich für uns nichts mehr easy. Bärbel erklärt sich bereit, hoch zu steigen, da ihr eh inzwischen zu kalt ist. Sie braucht dazu im Tauchanzug ziemlich lange und da ich nur warten kann und nichts zu tun habe, das mich ablenken könnte, werde ich immer nervöser. Als sie endlich oben ist, funktionieren die verdammten Funkgeräte nicht. Ich hänge deshalb die Vermessungstafel mit der Frage: „Was ist los?“ ans Seil und gebe Bärbel ein Zeichen, hoch zu ziehen. Nach kurzer Zeit kommt die Tafel wieder. Antwort: „Nix. Ich steige wieder ab“. Zunächst bin ich erleichtert. Dann aber hätte ich die Typen da oben erwürgen können. Die machen Blödsinn wie dumme kleine Jungs, denken absolut nichts und bringen uns bei einer schweren und teilweise gefährlichen Arbeit, die alle unsere Konzentration erfordert, aus purer Langweile und Unfug in Panik. Natürlich hat die Aktion mit dem Aufstieg auch eine Unterbrechungszeit von rund einer Stunde gekostet.

Mein anschließender erster Tauchgang im 1. upstream-Siphon fällt natürlich entsprechend nervös aus. Ich bin einfach nicht ruhig genug. Zu aller Anspannung kommt noch, dass die großen Kindsköpfe von Erwachsenen oben am Schacht nach einer halben Stunde schon wieder anfangen, Spektakel zu machen. Es hätte mir sehr gut getan, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, mit einer Schrotflinte hoch zu schießen.

Ich tauche bis auf etwa 7m ab, wo nach rund 20m Strecke der Gang nach links abwinkelt. Da ich sehe, dass dieser dort wieder aufwärts zieht, tauche ich weiter, obwohl ich mich etwas unwohl fühle. Nach etwa 50m kann ich auftauchen. Die Auftauchstelle führt wieder in eine Halle mit Schloten und Verbruch. Gleich rechts geht’s dort weiter in den nächsten Siphon. Dieser ist ebenfalls großräumig.

Beim Zurücktauchen notiere ich die Messdaten für den Siphon. Die Temperatur des Wassers ist so niedrig, dass ich mit dem 3mm-Anzug, den ich trage, nicht viel länger machen kann.

Insgesamt bin ich so genervt von den Typen oben am Schachtrand, die pausenlos weitermachen mit Rufen, Pfeifen, Seilschütteln und Spiegeln, dass für mich klar ist: mit diesen Leuten mache ich keine weitere Aktion. Diese Geschichte muss zunächst einmal geklärt werden. Ich steige auf, natürlich unter weiterem Gejohle und lasse oben richtig Dampf ab. Mit dem Wörterbuch erkläre ich ihnen, dass dies hier Arbeit für Männer sei und kein Spiel für kleine Jungs. Ich kann ihnen wenigstens so viel begreiflich machen, dass sich der Vernünftigste unter ihnen für alle entschuldigt und das Ganze mit Unwissenheit erklärt. Vorher allerdings höre ich unter Grinsen die Erklärungen:

  • der Muhtar wollte eigentlich um 16 Uhr schon wieder im Dorf sein und
  • die anderen haben kein Essen dabei.

Das heißt, diese Typen machten einfach nur aus purer Langeweile über dem Schachteingang Zirkus. Mir reichts. Wir ziehen alles Material hoch und bauen komplett aus.

Auf der Rückfahrt bin ich nicht sehr gesprächig und lehne dann auch jede Einladung ab. Nein, heute kein Video! Den Vernünftigen fahre ich heim, trinke einen Tee bei ihm und erkläre ihm nochmals die Situation, wie ich sie sehe. Der Muhtar ist wegen meiner Andeutung, dass ich die Geschichte dem Bürgermeister vortragen werde, so in Panik, dass er noch bei uns erscheint.

Nachdem wir das Huhn, das Bärbel inzwischen mit Nudeln fertig gemacht hatte, gegessen haben, fahren wir nach Büyük Koras und schlafen dort.

Sonntag, den 15.07.1990

Am nächsten Morgen checken wir zunächst die Ausrüstung, waschen, trocknen und verpacken. Erst spät nachmittags gegen 17 Uhr kommen wir dann von Koras in Richtung Ayranci weg. Eigentlich wollte ja der Bürgermeister morgens um 9Uhr kommen, hatte aber telefonisch abgesagt. Am Apparat war der Muhtar, der dem Baskane natürlich gleich seine Version der Geschichte auftischte: Sie hätten nur Angst um uns gehabt und uns deshalb gerufen.

Mitten auf der Strecke nach Ayranci kommt uns der Dienstwagen des Baskane entgegen. Er ist auf dem Weg zu mir – das Auto mit 5-6 Personen zum Platzen besetzt. Wir fahren alle zum Stausee, wo es ein kräftiges Picknick mit Fischen aus dem See gibt, wie immer mit reichlich Raki. Der Stausee wurde 1954-58 von einer deutschen Gesellschaft gebaut.

Die Stadt Ayranci ist sehr daran interessiert, dass ich im Schacht weiterarbeite und der Bürgermeister versichert mir, dass er die entsprechenden Arbeitsbedingungen schaffen würde.

Unser Video vom Vortag zeige ich am Abend noch zwei Mal in jeweils randvoll besetzten Teehäusern, was in Ayranci als Sensation einschlägt. Die Wasserpassagen kommen eindrucksvoll raus und werden mit ehrfürchtigem „Cok Su!“ kommentiert.

Dienstag, den 17.07.1990

Mit richtig großer Besetzung geht’s nach 10 Uhr im Dienstwagen des Baskane und mit Lkw in Ayranci los. In Pinarkaya kommen noch weitere Leute hinzu und alles steigt auf den Lkw um. Wir zählen außer uns noch weitere 14 Personen. Vom Lkw zum Schacht hat dann aber jeder was zu tragen, weil wir sehr viel Material mit haben und außerdem alles für ein großes Picknick dabei ist, inclusive Cola und eine 1 ½ Liter Flasche Whiskey, weil ich erklärt hatte, Bärbel würde keinen Alkohol trinken, höchstens mal ein gedoptes Cola.

Ich baue den Schacht völlig neu aus: 2. Spit, neues 100m-Speläoseil zum Abfahren und sichern an beiden Spits und um den Felsblock. Zusätzlich baue ich eine Anordnung zum Ablassen und Hochziehen der Ausrüstung mit Rack, Jümar und Seilrolle. Alles ist perfekt. Abfahren und Aufsteigen wird so zum Vergnügen. Auch der Materialtransport ist bequemer. Der ältere Sohn des Bürgermeisters, Erkan, will auf unser Angebot hin mit runter, was über das Materialseil als Sicherung für ihn einfach wird. Es klappt prima.

Unten machen wir Fotos und drehen wieder ein Video bis die Kamera aussetzt, weil es ihr einfach zu nass wird. Danach lege ich die Tauchausrüstung an:

Bury, Trockentauchanzug als Nassanzug, 8 kg Blei, gr. Flossen, Maske, Handschuhe, Helm mit 4 Spiro-Lampen, 2x7l-Gerät mit Backpackweste, Armaturen, Leinenrolle mit Messer, Snoopy-Loops, kleine Backup-Lampe und Vermessungsbrett.

Beim Durchtauchen des 1. Siphons upstream korrigiere ich die Vermessungsdaten. Bald bin ich im 2. Siphon. Der ist chaotischer als der erste. An manchen Knickstellen hat es unter Wasser hallenartige Erweiterungen und man muss schon genau hinsehen, um zu erkennen, wo die Hauptrichtung weiterführt. Der Siphon zieht bis auf 10m Tiefe ab, bei ständigem Auf, Ab und Richtungswechseln. Als es bei 80m Strecke wieder abwärts geht, kappe ich die Leine und kehre um. Ich stelle fest, dass ich das Vermessungsbrett nicht mehr habe und sehe beim Zurücktauchen vorsichtshalber nach, ob ich es unterwegs verloren haben könnte. Es liegt dann aber beim Leinenbefestigungspunkt am Siphonanfang. Kurz entschlossen checke ich den Luftvorrat und beschließe, den Siphon nochmals zu tauchen. Ich kann so beim Reintauchen vermessen und habe somit die Winkel gleich korrekt.

Eigentlich will ich noch in den downstream-Siphon, aber Bärbel und Erkan sind nach einer Stunde Wartezeit so durchgefroren, dass wir beschließen, auszusteigen. Ich steige zuerst auf, da ich unter dem Anzug den nassen Bury anhabe und damit hoch muss. Außerdem ist das Hochziehen des Materials und das Sichern von Erkan auch eher mein Job. Alles klappt perfekt und wir können das Picknick in Ruhe genießen.

Die Seile bauen wir aus, lassen aber die Knoten und die Technik dran. So ist beim Wiedereinbau alles schnell installiert. Im Schacht verbleibt alles, was nicht mit hoch muss und bei der nächsten Aktion gebraucht wird: z.B. Bleigurt.

Rückfahrt, Materialcheck, Essen und Video bei Arif, dem Baskane.

Dienstag, den 24.07.1990 – Finale Aktion im HK

Wir kommen etwas spät in Ayranci los. Es ist schon nach 11 Uhr. Auf dem Lkw ist alles Material: Seile, persönliche Ausrüstung, Video, Photoausrüstung und das frisch gefüllte 2x7l-Gerät. Wir sind 4 Erwachsene (wir beide, Erkan und der Fahrer) und 5 Kinder (Hannah, die beiden Kleinen des Fahrers, der kleinere Sohn des Baskane – Bülent – und dessen Spielkamerad). Auf der Hinfahrt bin ich mit dem Hund Janis und den Kindern auf der Ladefläche. Die Hälfte der Strecke sitzen wir oben auf dem Führerhaus. In Pinarkaya laden wir noch einen Mann zum Helfen nach und fahren dann die schon bekannte Strecke zum Schacht.

Programm für heute:

  1. Tauchen möglichst des ganzen 2. upstream-Siphon
  2. UW-Video im 1. upstream-Siphon
  3. alles Material aus dem Schacht

Die Seile sind schnell wieder eingehängt und wir rauschen in den Schacht. Ich habe so viel Fahrt drauf, dass ich unten nicht mehr schnell genug bremsen kann und im Wasser aufklatsche. Bärbel kommt mit einem 7 sec-Jump nach. Wir machen zunächst Fotos im Siphon, da nach dem Tauchen das Wasser wohl nicht mehr klar genug wäre. Danach versuchen wir das Video. Alles ist in Ordnung, Ewamarin-Beutel und Kamera, 2x UW-Halogen. Nur stellt sich später heraus, dass Bärbel die Kamera einfach viel zu hoch gehalten hat und nur eine Ecke von mir beim Abtauchen erwischte. Beim Auftauchen nimmt sie statt mir die Spiegelung von mir an der Wasseroberfläche auf. Die Aufnahme zeigt später, dass alles optimal ausgeleuchtet gewesen wäre. Schade!

Dann tauche ich durch. Der erste Siphon ist schon Routine. Im 2. Siphon vermesse ich nach und korrigiere die Daten der ersten Vermessung. Ich lasse mir Zeit dafür. Am Endpunkt der Leine fühle ich mich etwas unwohl und habe wegen einer Erkältung Probleme mit dem Druckausgleich. Deshalb drehe ich um. Eigentlich ärgert mich die verpasste Chance für ein Weitertauchen, ich hatte mir aber fest vorgenommen, absolut kein Risiko einzugehen und beim geringsten Zeichen von Unwohlsein umzudrehen. Selbst Bärbel könnte mir hier nicht helfen. Für sie ist keine Siphonausrüstung dabei und sie könnte frühestens am nächsten Tag den Versuch unternehmen, mit einer mühsam zusammengestellten Ausrüstung nach mir zu sehen. Diese Aktion bringt also außer den korrigierten Messdaten keine neuen Resultate. Schon gegen 17 Uhr steige ich auf und der Materialtransport beginnt. Danach legen wir alles zum Trocknen aus, bauen die Seile aus, essen, packen und transportieren die Ausrüstung zum Lkw. Der Helfer aus Pinarkaya hat zwar beim Essen und beim Bier tüchtig zugelangt, reißt sich aber beim Arbeiten nicht unbedingt ein Bein aus. Trotzdem finden wir durch den Fahrer und durch Erkan viel Unterstützung. Erst gegen 21 Uhr kommen wir in Ayranci an. Dabei sitzen wir mit 3 Erwachsenen und 5 Kindern vorne im Führerhaus! Transportprobleme gibt es hier kaum: Eine ganze Familie mit 2-3 Kindern auf dem Motorrad oder Moped ist keine Seltenheit. Auf einen Esel passen auch bis zu drei Kinder.

07.08.1990 (Dienstag) – HK – TRT-Aktion
Das türkische Fernsehen (TRT) drehte mit mir ein Feature in der Höhle und sendete dies an einem Sonntagabend direkt nach den 20 Uhr-Nachrichten türkeiweit – Premiumtime!
Der Redakteur ließ sich unerschrocken wie einen Materialsack abseilen. Der Kameramann aber erklärte, dass weder er noch seine Kamera je in dieses Loch gehen würden. Also drehten wir alles in der Höhle mit meiner V’HS-Kamera – und das wurde dann auch gesendet.