QUO VADIS?

Thesenpapier zur Reaktion unseres Verbandes auf den Höhlentourismustrend

 

Von

 FRANZJÖRG KRIEG

 

Während der JHV in Osterode diskutierte ich mit verschiedenen Höfos über das längst überfällige Thema „Höhlentourismustrend“. Die lange Heimfahrt benutzte ich dann zur ersten Formulierung des folgenden Thesenpapiers.

  1. Schon seit Jahren zeigt sich in den Medien ein Trend, Höhlen als die letzten Abenteuerspielplätze der Welt darzustellen und Höhlenforschung als sportliche Sonderleistung zeitgemäß dynamischer und wagemutiger Supermänner in einer breiten Konsumentenschicht zu propagieren.

  2. Dies funktioniert ohne einen Bezug zur institutionalisierten Höhlenforschung. Oft wird diese sogar als Hindernis empfunden, da deren Alltag im mythologisierenden und heroisierenden emotionalen Darstellungsstil des Boulevardtrends allzu ernüchternd wirken könnte.

  3. Wenn früher jeder Höhleninteressierte, unabhängig von seinen finanziellen Einsatzmöglichkeiten, „klein·anfangen“ mußte, so kann heute jeder ein Sportgeschäft als Outsider betreten und als vollständig ausgestatteter Superspeläologe verlassen.

  4. Bergsteiger und Taucher haben die Höhle als zusätzliche Herausforderung innerhalb ihrer jeweils eigenen Disziplin entdeckt und beginnen, organisiert darauf mobil zu machen.

  5. ln Deutschland konzentriert sich dieses immer allgemeiner werdende Interesse auf eine verhältnismäßig geringe Zahl von Objekten, da die deutschen Karstgebiete in der Attraktivität ihrer Erscheinungen im internationalen Vergleich dürftig abschneiden.

  6. Vom Standpunkt ernsthaft betriebener Höhlenforschung aus wird dieser Trend eindeutig als Gefahr erkannt. Die daraus resultierende logische Verhaltensweise müßte sein: Entgegenwirken – wie auch immer. Eine kurzfristig wirkungsvolle Methode gibt es nicht. Was bleibt, ist das steuernde „Sich einschalten“, der lange Marsch mit der Entwicklung. Jedes Sich-Einschalten wird aber sofort als Mitmachen und damit als Verrat an der eigenen Sache identifiziert. Dieser Zwiespalt mit seinen verschiedenen dualistischen Effekten (…man könnte im Dienst der eigenen guten Sache mit dem Boom vielleicht sogar etwas verdienen …) wirkt so lähmend, daß die Reaktion sich in (allerdings nur scheinbarer) Ignoranz erschöpft.

  7. Dieses Bild der Diskrepanz zwischen dem Trend und dem Verhalten der Insider zu diesem Trend wird verstärkt durch die Tatsache, daß die Attraktivität der Erscheinung Höhle nicht gleichbedeutend ist mit dem Interesse an der systematischen, organisiert betriebenen Höhlenforschung.

  8. Außerhalb von Verband und Höhlenforschergruppen gibt es eine ständig zunehmende Zahl von „Höhlenforschern“, die die breite multidimensionale Orientierung der Speläologie weniger verinnerlicht haben und darum auch weniger Skrupel besitzen, kommerziell in den Trend einzusteigen. Sie erhalten Schützenhilfe durch wenige Höhlenforscher aus dem Lager der Insider, die sich skrupellos prostituieren und als Anheizer am Trend mit verdienen.

  9. Was das Ganze so heikel macht, ist, daß der Zwiespalt nicht nur faktischer Natur (Höhle kaputt oder nicht), sondern zutiefst moralischer Natur ist. Die Grenze zwischen „regulierend eingreifen“, „evtl. dabei verdienen und Mitverstärken“ und „daran verdienen“ sind so dünn und fließend, daß die einzige Möglichkeit, sauber zu bleiben, im Sich-Raushalten gesehen wird.

 

Welche Kompromisse müssen wir machen, um nicht durch Nichtstun schuldig zu werden?

Wie oft beinhaltet auch dies das klassische tragische Element: Der Entscheidung des zur Reaktion Geforderten folgt, wie auch immer die Entscheidung ausfällt, der Schuldspruch.

Allerdings kann nur der Handelnde eine eventuelle Chance nutzen. Ignoranz ist dumm, Sich-Raushallen bedeutet Reglosigkeit, Tod (zunehmende Bedeutungslosigkeit derer, die sich sauber halten wollen).

ad 1:

Alle Zeitschriften bringen in mehr oder weniger großen Abständen höhlenbezogene Features, denen allen die Vokabel „Abenteuer” als zentrales Element gemeinsam ist. Das Fernsehen greift das Thema „Höhle“ in sporadischen Einzelsendungen und Serien auf (sogar die „Schwarzwaldklinik“ kam nicht ohne einen Höhlenunfall aus). in Amerika gibt es literarische Bestseller zum Zentralbegriff „Höhle” („The Clan of the Cave Bear“ oder „Shibumi“), und auch in Deutschland rankt sich ein Actionthriller von rororo um eine Höhle und deren Erforscher („Bienzle und die schöne Lau“). Noch deutlicher wird die animierende Funktion des Interessenobjektes „Höhle“ in der suggestiv arbeitenden Werbung, wo sowohl bei speziellen lnteressengruppen (Uhren für Sporttaucher) als auch im breiten Konsumentenkreis (Zigaretten, Batterien) das Reizelement „Höhle“ profitträchtig genutzt wird.

Das inzwischen touristisch allgemein bedeutende Griechenland verfügt nicht nur über Bildführer durch sein archäologisches lnvestitionskapital, sondern·seit kurzer Zeit auch über einen „Bildführer durch alle wichtigen griechischen Höhlen“, der sich an den ausschließlich touristisch interessierten Laien wendet und die Ressource Höhle in den Dienst des Tourismusmanagements einspannt.

ad 2:

Besonders Illustriertenartikel werden meist ohne Beteiligung von Speläologen konzipiert, die für ihre Sache entschieden einzutreten bereit sind. Sogar im Allgemeinen gut recherchierende große Blätter übernehmen aus dem Kreis der Insider oft nur Bildmaterial und behalten sich Konzeption und Tendenz im Kommentar ausdrücklich vor. Im Klartext: ein Höhlenforscher kann seine Bilder nur gut verkaufen, wenn er jeden Schmus und Schwachsinn im Kommentar zu seinen Bildern akzeptiert.

ad 3:

Solange wenige Individualisten in Höhlen geforscht haben, waren Befahrungsmaterialien und Hilfsmittel für die Erforschung nur durch Improvisation. Erfahrung und Eigenbau verfügbar. Das Vorgehen war weniger effektiv und die Schritte waren klein. Auch die Lernschritte waren daher klein und nur über ein komplexes Gebäude solcher kleinen Lernschritte war eine Standarderhöhung möglich.

Mit zunehmender Nachfrage an Befahrungsmaterial durch eine steigende Zahl von Höhleninteressierten, besonders in den speläologisch attraktiven Ländern, wurden die Voraussetzungen für eine Kommerzialisierung, wurde ein Markt geschaffen.

Sowohl die Umwege und Irrwege, die vorher zu einer möglichst optimalen Ausrüstung führten, als auch die bereichernden Lernerfolge auf diesem Wege werden von denen nicht erfahren, die eine ausgereifte Ausrüstung auf einen Schlag erwerben und damit die Chance bekommen, sowohl mit positiver als auch mit negativer Wirkung effektiv zu sein.

ad 4:

Im alpinen Bereich tangieren die Höhlen schon immer den Interessenbereich der Kletterer, da diese die ersten und einzigen waren, die zu vielen Höhlen überhaupt Zugang hatten.

Erst in letzter Zeit wurde dieses Interesse durch eine neue Komponente verallgemeinert: Die Kletterer, deren Aktionsmöglichkeiten durch Witterungseinflüsse begrenzt sind, entdecken die Höhle als kalkulierbares, witterungsstabiles Trainingsareal mit zusätzlichen neuen Reizdimensionen. Vordergründig betrachtet münden hierbei die Interessen von Kletterern und Höhlenforschern in einen gemeinsamen Aktionsbereich. Tatsächlich jedoch sind die Intentionen konträr. Für den Bergsteiger ist das Klettern Selbstzweck, während der Höhlenforscher Klettertechniken als Mittel zum Zweck einsetzt, um sich möglichst sicher, rationell und behutsam seinem Untersuchungsgegenstand widmen zu können. Alle Aktivitäten des Höhlenforschers sind zentral am besorgten Interesse um den Untersuchungsgegenstand „Höhle” orientiert, während der Kletterer mit oben geschilderter Intention in einem bedeutend engeren Gesichtsfeld die Höhle für seine Zwecke nutzt.

Beim Durchblättern von Zeitschriften für Sporttaucher fällt auf, daß „Höhle“ als Reizbegriff verstanden und taktisch entsprechend exponiert eingesetzt wird. Wieder zeigt die Werbung deutlich die Tendenzen: Eine Tauchbasis, die in ihrem Bereich Unterwasserhöhlen bieten kann, hebt dies in der Werbung besonders hervor. Ich konnte am Mittelmeer·selbst erleben, wie in einer Basis getaucht wird, für die ihre Unterwasserhöhlen die Hauptattraktion darstellen: Der Basisleiter als Leithammel taucht voraus in ein mehrere -zig Meter langes System mit Seitengängen und engen Passagen, gefolgt von 5 Tauchanfängern mit Monoflasche, maximal einer Lampe pro Person, ohne jegliche Leinenführung und bei teilweise extrem schlechter Sicht durch Brackwasser. Obwohl dies schon seit vielen Jahren so gemacht wird, existieren bis heute keine Pläne der Höhlen in diesem Bereich. Nur extrem viel Glück konnte wohl bisher verhindern, daß es zu spektakulären Unfällen kam.

Aber nicht nur Tauchbasen und Tauchreiseunternehmen werben mit ihrem realen Angebot „Höhle“, auch Artikel wie z.B. Uhren, die mit „Höhle“ in keinerlei direktem Zusammenhang stehen, werden mit Fotos aus einer Unterwasserhöhle an den Taucher gebracht.

Beinhaltet ein Heft einen Artikel mit dem Bezug „Höhle“, so wird dies auf der Titelseite gefeaturet.

 

Arrangements in der Luft und unter der Erde

Die Fränkische Schweiz hat ihr Angebot für Wanderer erweitert. Beispielsweise um die siebentägige Tour zu Burgen, bekannten Aussichtspunkten und sogenannten Schauhöhlen mit Wanderungen unter Tage im Höhlenzentrum Muggendorf.

Das Programm kostet mit Übernachtung und Frühstück ab 161 Mark, Schutzanzüge können geliehen werden. 

Neu sind auch zwei 5-Tage-Wanderungen über je 110 Kilometer in weniger bekannte Gebiete der nordwestlichen und südöstlichen Fränkischen Schweiz. Beide Arrangements können ab Mai mit Übernachtung und Frühstück ab 90 Mark gebucht werden. Der Gepäcktransport kostet pro Tag fünf Mark. Wer das Feriengebiet auch aus der Luft kennenlernen will, kann an einem Fliegerkursus auf Probe teilnehmen. 30 Flüge mit Fluglehrer in einem Motorsegler·kosten 600 Mark.

Auskünfte: Tourismus-Zentrale Fränkische Schweiz, Oberes Tor 1, 8553 Ebermannsstadt, Telefon (0 91 94) 81 01.    dzt

Aus: Goslarsche Ztg .. 10.5.1985

MUSS DAS SEIN??

 

Da sich die Speläonauten zurückhalten, beginnen inzwischen Sporttaucher ohne Bezug zur institutionalisierten Höhlenforschung in groß aufgemachten Artikeln zum Höhlentauchen auszubilden. Sie beschreiben detailliert Technik und Techniken.

ln Frankreich z.B. existieren zwei konkurrierende Höhlentauchorganisationen: die Sektion „Höhlentauchen“ des Höhlenforscherverbandes und eine gleiche Unterabteilung des Sporttaucherverbandes. Erstere ist mehr speläologisch-wissenschaftlich, letztere mit Unterstützung der Industrie mehr tauchtechnisch-sportlich orientiert (HASENMAYER kontra TOULOUMDIJAN in der Vaucluse).

Deutlich wird das Problem international an den Statistiken der Höhlentauchunfälle mit tödlichem Ausgang. Fast alle Todesopfer waren Sporttaucher mit keiner oder nur wenig Erfahrung im Höhlentauchen – entsprechend unzureichend ausgerüstet und psychisch nicht vorbereitet.

ad 5:

Sehr selten trifft man unbekannte Höhlengänger in kleinen Objekten an. Das breite Interesse konzentriert sich auf wenige Attraktionen (Wimsener, Falkensteiner, etc.), die entsprechend in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei weiterer Kommerzialisierung des Booms allerdings muss befürchtet werden, daß die allgemein zugänglichen Katasterveröffentlichungen immer stärker genutzt werden und ein Objekt nach dem anderen, in der Reihenfolge seiner Veröffentlichung, außerhalb des speläologischen Fachkreises „niedergemacht“ wird. Mein eigenes Vorhaben, einen Schachtführer für den Bereich der Schwäbischen Alb zu erstellen, habe ich allein aus solchen Erwägungen nicht ausgeführt. Solche Publikationen sind z. B. in Frankreich Selbstverständlichkeit und auch jeder deutsche Höfo benutzt sie dankbar. Doch zeigen auch dort oft befahrene und dabei empfindsame Objekte (z.B. das horizontale Höhlensystem der Rochas/Ardeche) die traurigen Auswirkungen.

ad 6:

Tiefe Unsicherheit kennzeichnet die Haltung der deutschen Höhlenforscher. Ich zumindest habe den Eindruck, daß jeder jeden argwöhnisch beäugt, der seine Aktionen nicht nur intern betreibt und damit die Chance hat, ein paar Mark zu verdienen. Längst ist es fällig, die Problematik unter uns gründlich zu diskutieren. Doch noch keine Jahreshauptversammlung, kein Ausschuß, keine Gruppe hat sich damit intensiv befasst Wir wissen genau, daß die Entwicklung glatt an uns vorbeiläuft und verspüren noch nicht einmal Unruhe im Untätigsein.

ad 7:

Der Geschäftsbericht unseres Verbandes für das Jahr 1984 weist eine Mitgliederstandsbewegung von +1 auf. Was meine Kenntnis der Situation in den Gruppen anbelangt, hängt deren Mitgliederzahl nicht direkt vom öffentlichen Interesse am Objekt „Höhle“ ab, sondern eher von ihren eigenen Aktionen, von ihrer eigenen Werbung (z.B. Arge Höhle und Karst Grabenstetten).

ad 8:

Immer mehr tauchen den lnsidern unbekannte Organisatoren von kommerziellen Höhlenabenteuertouren auf, deren Intention allein sportlicher Natur ist und die das Abenteuererlebnis in den Vordergrund stellen. Wenn man nicht gerade lustfeindlich ist, kann man die abenteuerliche Komponente nicht abstreiten. Sie erfordert aber der Ressource Höhle zuliebe eine Ergänzung, für die die Fachleute, also wir, verantwortlich sind.

Die wichtigste speläologisch-literarische Neuerscheinung des Jahres 1985 (bzw. ’86) in Deutschland, von einem „bekannten Höhlenforscher“ verfaßt und für einen breiten Leserkreis herausgegeben, wirbt mit dem Titel „Ich war in der Unterwelt“. Vokabeln wie „Abenteuer“, „Gefahr“, „wagemutig“, etc. prägen das Wortbild. Wenn unsere Sache in der Öffentlichkeit allein auf diese Weise vertreten wird, bleibt uns nur noch übrig, alle Höhlen zuzubetonieren und danach einzupacken.

ad 9:

lch erinnere an den HB-Bild-Atlas „Höhlen in Deutschland“. Obwohl von Höhlenforschern nach bestem Wissen und Gewissen mit der Absicht verfaßt, unser Anliegen endlich einmal einer breiten Öffentlichkeit zu verdeutlichen, war die Kritik aus den eigenen Reihen nicht zu überhören. Sie war nicht durch existierende Mängel im Layout o. ä. begründet, sondern war grundsätzlicher Natur: Darf ein Höfo sowas machen?

 

Soweit meine Bestandsaufnahme.

 

Mit der Vorstellung meiner Überlegungen zu möglichen konkreten Reaktionen des Verbandes möchte ich mir noch etwas Zeit lassen. Ich hoffe auch, daß dieser Aufsatz zu Diskussionen anregt und daß dabei neue Ideen reifen.

 

FRANZJÖRG KRIEG
Durlacher Allee 30
7519 Walzbachtal 1

 

Originallayout:

Krieg-Franzjoerg_Mitt-VdHK_1985-4