Meine erste bedeutende Neuentdeckung sollte gleich ein besonderes Highlight darstellen.
Die gesamte Mani, der mittlere Zipfel des Peleponnes (Messinien) ist auch historisch gesehen ein heißes Pflaster. Selbst die Türken schafften es nie, diesen Bereich komplett unter ihre Herrschaft zu bekommen. Auf der Südmani sind die pirgos bekannt, Wohntürme, in denen sich die Bewohner aus Angst vor Blutrachefehden gegeneinander verschanzten. Heute noch spielen die Vorgänge während der faschistischen Herrschaft eine Rolle, weil die Bevölkerung auch heute noch klar in politisch links und rechts getrennt ist und Lebensschicksale bis zur Entscheidung auf Leben und Tod danach ausgerichtet waren.
Das Dorf Doli besaß schon im 19. Jahrhundert eine Schule, was dafür sorgte, dass Einwohner dieses Dorfes in die türkische Administration in Athen eingebunden waren. Doli kannte also schon vor weit über hundert Jahren den Besuch ausländischer Delegationen.
Von 1974 bis 1984 verbrachte ich jedes Jahr mehrere Wochen in Kitries – dem letzten Dorf an der Küstenstraße von Kalamata kommend. Da ich erst 1971 mit der Höhlenforschung begonnen hatte und auch zunächst nur als tauchender Urlauber nach Kitries kam, wurde mir die speläologische Potenz der Mani erst nach und nach bewußt.
Im Sommer 1976 erzählte mir Stavros Gelasseas aus Doli über die lokalen Vorkommnisse in der Zeit des griechischen Bürgerkrieges 1944 bis 1949 im Einflußbereich des faschistischen Kommissars Georgios Kamarineas aus Doli. Unter anderem erzählte er auch, dass nach der Exekution von über 200 linksgerichteten Patrioten durch die Deutschen in Megalopolis die kollaborierenden Faschisten um Kamarineas weitere linksgerichtete Männer ermordeten. Vier davon sollten in einem Schacht hinter der Kapelle Agios Nikolaos an der Paßhöhe zwischen Doli und Kalianeika zu finden sein. Diese Auswirkungen der politischen Vorkommnisse der 40er Jahre veranlassten mich, im Sommer 1977 Ausrüstung mitzubringen, die es mir ermöglichen sollte, den Hinweisen von Stavros Gelasseas nachzugehen.
Am 26.07.1977 steige ich zusammen mit dem deutschen Höhlenforscher Dieter Wießert zum ersten Mal in den Schacht ab. In einer Tiefe von etwa 25 Metern landen wir an der abstiegsseitigen Schachtwand auf der höchsten Stelle eines mächtigen Geröllhanges, der erst 20m tiefer aufhört. Er erfüllt den Schachtraum, der dort unten etwa 10m Durchmesser aufweist und einen weiterführenden Tunnelansatz, der in 50m Tiefe in eine horizontale Höhlenetage übergeht.
Auf dem labilen, zunächst etwa 30° steilen Hang, der im weiterführenden Tunnel noch steiler abwärts zieht, liegen verteilt menschliche und tierische Skelettteile sowie korrodierte Handgranaten, eine großkalibrige Geschossgranate und neben diversem Müll ein Bündel mit Frauenkleidern. Da die korrodierte Munition zwischen den Steinen des labilen Geröllhanges eine unkalkulierbare Gefahr darstellt, sammeln wir 3 Handgranaten und eine große Geschützkartusche auf und legen sie an einer Stelle ab, wo sie nicht von Steinen getroffen werden können.
Wir finden auch eine Kanonenkugel aus der Zeit der türkischen Herrschaft.
Indem ich versuche, die auf dem Hang tiefer gerutschten Skelettteile dem jeweils am höchsten liegenden Teil eines Skelettes zuzuordenen, kann ich in etwa die ursprüngliche Lage und die Anzahl der Skelette feststellen. Da ich auch 9 Oberschenkelknochen zähle, muss es sich um 5 Skelette handeln. Nur eines dieser Skelette liegt ungestört auf einer sehr kleinen Fläche an einer Stelle, wo es nicht direkt hinfallen konnte. Das in den Verwesungsrückständen gefundene Holzkreuz weist diesen Toten als den papas, einen Priester oder Mönch aus, von dem Zeitzeugen berichten, dass er lebend hinuntergeworfen worden sein soll.
Die bisher bekannten Identitäten der Ermordeten:
* Panagiotis Ntizis aus Doli
* Dimitrios Papadeas aus Doli
* ein Unbekannter
* ein unbekannter Mönch (aus dem Kloster im Dorf Altomira?)
In dem zusammengeschnürten Kleiderbündel finden sich ein paar Nylonstrümpfe, eine Damenhandtasche, ein paar weiße Damenschuhe und verschiedene weitere Damenbekleidungsstücke, die teilweise beim Öffnen des Bündels zerfallen.
Man erzählt mir im Dorf, dass in den 50er Jahren eine Frau (Eleni Phassou aus Kalianega) verschwunden sei und man munkelt, dass es jemand gäbe, der Interesse daran gehabt hätte, sie verschwinden zu lassen.
Bei unserer ersten Prospektion der Höhle an diesem 26.07.1977 begehen wir die gesamte mittlere Etage.
Am nächsten Tag kommen wir mit 5 Personen, alles deutsche Höhlenforscher, zur Erkundung und Fotodokumentation von abends 21.30 Uhr bis morgens 6 Uhr wieder in die Höhle. Wir entdecken die unterste Etage und müssen aus Zeitmangel auf die Erkundung der dritten und höchsten Etage verzichten. Da wir sehr behutsam vorgehen, um den ursprünglichen Zustand der Höhle möglichst wenig zu beeinträchtigen, können wir auch nicht vorwärtsstürmen und lassen uns für die Erkundung viel Zeit.
Im September 1977 treffe ich Frau Anna Petrochilou, die Präsidentin des griechischen Höhlenforscherverbandes, beim Internationalen Kongreß für Speläologie in Sheffield/England und erzähle ihr von meiner Entdeckung. Obwohl ich ihr auch Fotos der Höhle vorlege, meint sie nur, eine solche Höhle sei in dieser Gegend absolut unmöglich. Später allerdings leitet sie eine Befahrung der Höhle durch ihren Verband (natürlich nur von oben aus) und lässt sich als Entdeckerin feiern.
Am 06.01.1978 steige ich mit Roy Frank zur 3. Befahrung in die Höhle. Von 10 Uhr bis 23 Uhr vermessen wir alle uns bis dahin bekannten Teile und arbeiten weiter an der Fotodokumentation.
Am 08.01.1978 sind wir wieder zu zweit für 7 Stunden in der Höhle, entdecken die 2. Endhalle der 3. Etage und die „Traverse“, den Verbindungsschluf zwischen der 2. und 3. Etage. Damit haben wir alle Teile entdeckt, die auch heute im Plan der Höhle verzeichnet sind.
Die durch den Schacht zugängliche mittlere Etage ist in blau dargestellt, die kleinräumige untere Etage in rot und die obere Etage in grün.
Jede Etage hat plus/minus 100 m Längenausdehnung.
Die Schlüsselstelle der Höhle ist der Bereich, in dem die beiden weiteren Etagen ansetzen. In diesem Teil sind auch die auffälligstgen Helektiden.
Die Vermessungsstrecken als Grundrissprojektion im Plot.
Zu unserer 5. Befahrung steigen wir am nächsten Tag wieder zu zweit für 10 Stunden in die Höhle und fotographieren.
Das Besondere an dieser Höhle ist das Faktum, dass hinter der geschichtengeschwängerten Situation des Schachtes ein besonders fragiles Dokument speläomineralogischer Dimension schlummert(e). Die Höhle umfasst nur etwa 300m Länge in 3 Etagen, die fast vollständig versintert sind. Es gibt keinen anstehenden Fels – nur Versinterungen vielfältigster Art, darunter seltenste Phänomene.
Da ich an vielen Beispielen von Höhlen in Griechenland feststellen musste, dass die organisierte griechische Speläologie unter Frau Petrochilou in Kooperation mit dem Ministerium für Tourismus nur an der Kommerzialisierung von Höhlen interessiert war und weniger an der wissenschaftlichen Bearbeitung und noch weniger am Höhlenschutz und dass auch der griechische Staat völlig unfähig war, diese fragilen Naturphänomene zu schützen, entschloß ich mich, die Existenz der Höhle zu verschweigen und gegenüber der interessierten Bevölkerung der umliegenden Dörfer die Höhle auf den Schachtraum zu reduzieren.
Als bekannt wurde, dass ich in den Schacht abgestiegen und auch tatsächlich wieder lebend nach oben gekommen war, war die Atmosphäre in der gesamten Umgebung brisant. 40 Jahre Vergangenheit fühlten sich an wie gestern und die alten Konflikte bestimmten alle Begegnungen und Gespräche. Teilweise fühlte es sich an, als könnte man Blöcke aus der Luft schneiden.
Die Absicht der Stadt Kalamata, den Schacht zur Entsorgung von Müll oder Abwässern zu nutzen, machte es dann für meinen Freund Georgios Athanasakos nötig, die besondere Schutzwürdigkeit dieser Höhle offenzulegen. In der Folge kam es dann zu weiteren Befahrungen, die in der Presse ein lebhaftes Echo fanden.
Der große Patron der gesamten Gegend, Ligurgo Gaitanaros, auf dessen Besitz sich die Höhle befand, beschloss, die alten Geschichten zu begraben und bestellte andere Deutsche, die sich dort aufhielten, um die Knochen aus der Höhle zu holen und auf den Friedhof bringen zu lassen.
Da ich ahnte, dass die Umstände, unter denen diese vier “Partisanen” ermordet wurden, unter den Teppich der Geschichte gekehrt werden würden, beschloss ich schon im Rahmen der Ersterforschung, den einzigen kompletten Schädel, den des papas, zu sichern. Ich bin heute noch im Besitz dieses Schädels, des Holzkreuzes und seines Gürtels. Vielleicht interessiert sich einmal jemand näher für diese spannende Geschichte und recherchiert. Derjenige, der die vier Personen in den Schacht geworfen hatte, lebt nicht mehr. Es gibt aber noch genug Personen, die die näheren Umstände kennen.
Griechenland hat eine Menge aktuelle Probleme, die es verhindern, sich mit der eigenen Geschichte zu beschäftigen. Den Freiraum dazu hätte es auch um die Jahrtausendwende noch gegeben – es war aber für die Griechen noch zu früh. Zu viele direkt Beteiligte im Konflikt lebten noch. Heute wäre dieses Problem gelöst. Griechenland ist aber mit aktuelleren Problemen beschäftigt. Eine Aufarbeitung wie in Deutschland hat es dort nie gegeben, muss aber geleistet werden, um die eigene Geschichte bewältigen zu können.
Nach der Fälschung der Entdeckungsgeschichte durch die griechischen Speläologen um Frau Petrochilou kam es am 08.09.1979 zu einer offiziellen Richtigstellung der Abläufe.
Im Sommer 2014 kam ich nach langer Zeit wieder nach Kalamata.
Es bot sich die Chance, die von mir entdeckte Höhle wieder zu befahren. Ich hatte sogar die Gelegenheit, meine Eindrücke in einer Sendung des Regionalfernsehens zu schildern.
An dieser Stelle möchte ich ohne weiteren Kommentar zwei Fotos zum Vergleich einstellen.
1977
2014